Schwer erreichbar: Symposium lenkt Blick auf junge Menschen in Not

Veröffentlicht am: 28. Oktober 2021

München, 28.10.2021 - Im Rahmen eines Symposiums unter Beteiligung der bayerischen Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Carolina Trautner, sowie Experten aus Wissenschaft und Praxis haben die Salesianer Don Boscos heute in München den Blick auf die Erreichbarkeit „entkoppelter“, schwer erreichbarer junger Menschen gelenkt. In Deutschland befinden sich Schätzungen zufolge aktuell mehr als 480.000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 25 Jahren nicht in Beschäftigung, Schule oder Ausbildung. Staatliche und gesellschaftliche Institutionen erreichen sie oft nicht.

Wie der Professor für Theorien und Methoden Sozialer Arbeit, Dr. Andreas Kirchner, in seinem Impulsvortrag darlegte, seien unsere Sozialsysteme häufig von einer sehr einfachen „Input-Output-Logik“ geprägt. „Das geht von der Vorstellung aus, es gebe einen konkreten Input in Form eines Angebotes oder einer Leistung. Und wir erwarten einen bestimmten Output, stellen aber fest, dass das bei dieser Zielgruppe schwerer Erreichbarkeit einfach nicht so funktioniert“, erklärte der Wissenschaftler der Katholischen Stiftungshochschule München.

Niedrigschwelliger Zugang zu Hilfsangeboten

„Schwer erreichbar“ beziehe sich dabei einerseits auf die Jugendlichen, die etwa aufgrund schlechter Erfahrungen mit den Sozialsystemen nichts mehr zu tun haben möchten. „Zum anderen würde ich aber sagen, dass Angebote und die Träger selbst zum Teil auch schwer erreichbar sind“, machte er deutlich. Wichtig sei daher ein niedrigschwelliger Zugang zu Hilfsangeboten. 

Die bayerische Jugendministerin Carolina Trautner betonte die Wichtigkeit des Symposiums. „Gerade schwer erreichbare junge Menschen müssen wir im Blick behalten und sie auf ihrem individuellen Weg zum Erwachsenwerden begleiten; ihnen zeigen, wie bereichernd es ist, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und sich als wertvolles Mitglied in unsere Gesellschaft einzubringen“, sagte die Staatsministerin. „Ich habe höchsten Respekt vor dem, was die Beteiligten für das Wohl der Jugendlichen, für die Eltern, Familien und für unsere ganze Gesellschaft täglich leisten.“

Ein anschließendes Podium, bei dem neben Carolina Trautner und Dr. Andreas Kirchner auch der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit München, Wilfried Hüntelmann, der Provinzialvikar der Salesianer Don Boscos in Deutschland, Pater Christian Vahlhaus SDB, und der Generalökonom der Ordenszentrale in Rom, Bruder Jean-Paul Muller SDB, diskutierten, war sich einig, dass das Fehlen stabiler, langfristiger Finanzierungskonzepte die Arbeit mit der Zielgruppe erschwert. „Für die Jugendlichen und auch für die Mitarbeitenden wäre es deutlich hilfreicher, längere Perspektiven zu haben“, stellte etwa Pater Vahlhaus klar. Es sei eine wichtige Herausforderung, „dafür zu sorgen, dass wir zu Maßnahmen kommen, die über einen kurzen Zeitraum hinaus auch Hilfe gewähren“, sagte der Salesianer, der für die 26 Einrichtungen seines Ordens in Deutschland zuständig ist.

Eindrücke vom Symposium "hard to reach"

Fotos: SDB/Klaus D. Wolf

Wilfried Hüntelmann von der Münchner Agentur für Arbeit hob vor dem Hintergrund des derzeitigen Mangels an Auszubildenden und Fachkräften auch den wirtschaftlichen Faktor hervor. „Wenn wir sagen, keiner soll verloren gehen, dann meine ich das auch auf die Menschen bezogen“, machte er deutlich. „Ich kann aber auch sagen, wir brauchen jeden.“ Die Arbeit mit diesen jungen Menschen sei eine Investition in den Menschen, in die Zukunft, aber auch in die Wirtschaft. 

Bruder Jean-Paul Muller lenkte den Blick auf entkoppelte Jugendliche weltweit und die gesellschaftliche und individuelle Verantwortung für diese. Wenn jeder einzelne offen für junge Menschen in schwierigen Situationen sei, dann werde „das Netz größer, in das diese Jugendlichen fallen können“, ermutigte er. 

In anschließenden Workshops gaben Sozialarbeiter und Wissenschaftler weitere Einblicke in Empirie und Praxis. Dabei flossen Erfahrungen aus der Arbeit in den Jugendhilfeeinrichtungen der Salesianer Don Boscos und daraus resultierende Handlungsaufforderungen ein. Die Ordensgemeinschaft arbeitet in mittlerweile sieben Einrichtungen in Deutschland mit der Zielgruppe entkoppelter junger Menschen.

Kernkompetenz der Salesianer Don Boscos

Die Sorge um benachteiligte Kinder und Jugendliche ist seit jeher Kernaufgabe und Kernkompetenz der Salesianer Don Boscos. Auf der Basis des christlichen Menschenbildes ist es für sie selbstverständlich, dass kein Mensch aus der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden darf. Pater Christian Vahlhaus schloss die Podiumsdiskussion daher mit der Mahnung, dass entkoppelte jungen Menschen nicht aus dem Blick geraten dürften und es neue Kooperationen brauche. Es sei die gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten, zu beobachten, „wie wir uns verändern müssen und wie wir gemeinsam auch gutes hinbringen, um den jungen Menschen zu helfen.“ 

Eine empirische Grundlage für die Reflexion des eigenen pädagogisch-pastoralen Handelns bietet das Buch „Prekäre Positionen“ von Dr. Andreas Kirchner. Darin erläutert er die Rahmenkonzeption für die Arbeit mit schwer erreichbaren jungen Menschen in Einrichtungen der Salesianer Don Boscos. Sein Erkenntnisinteresse bezieht sich vor allem auch auf die Frage, wie Hilfen besser aufeinander abgestimmt werden können, damit Kinder und Jugendliche nicht – wie vielfach in der Praxis beklagt – aus ihnen herausfallen. 

 

Text: RefÖA/CS; Fotos: SDB/Klaus D. Wolf

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